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Fazit

Die Konzeptionen des Staatsbürgerrechts nähern sich in Europa an. Die Formen der Ausübung staatsbürgerlicher Partizipation sind noch sehr verschieden, bilden aber kein Hindernis für die Integration. Die Kulturbürger bleiben national, die Rechtsbürger haben die weitestgehendste Angleichung erreicht, ein Prozeß, der durch den Europäischen Gerichtshof befördert wird. Aber selbst wenn dieser zu große Schritte wagt, zeigen sich Rückschläge der Verhärtung bei den nationalen Politikern und sogar bei den nationalen Verfassungsgerichten, wie die deutsche Maastricht-Entscheidung gezeigt hat. Die Sozialbürger schließlich bleiben mangels Umverteilungsmasse der Union auf nationale Sozialpolitik angewiesen. Nur im sozialregulatorischen Bereich schreitet die Integration rasch fort.

Eine Symmetrie der vier Citizenships ist auf europäischer Ebene in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Auch einzelne Nationalstaaten haben lange gebraucht, um dieses Symmetrie der Legitimation des Gemeinwesens und seiner Citizenship zu erreichen. Es ist unwahrscheinlich, daß durch spektakuläre Arbeit an einer europäischen Verfassung diese Integration aller vier Citizenships beschleunigt werden kann. Es sind eher neue überflüssige Konflikte zu erwarten. Die Fixierung auf eine Verfassung erscheint im internationalen Vergleich ohnehin als eine ziemlich deutsche Diskussion. Die Charta der Grundrechte wird vermutlich kommen. Den organisatorischen Teil einer Verfassung können Dokumente nach Art eines Organisationsstatus bewältigen. Die dritte französische Republik mag da Vorbild sein: "rien ne dure que le provisoire" wurde für die drei Gesetze geprägt, die seit 1875 als Ersatz für eine einheitliche Verfassung dienen mußten, weil die beiden Lager sich nicht auf einen Text hätten einigen können. Ohne die Niederlage von 1940 bestünde die Regelung von 1875 vielleicht noch heute. Großbritannien kommt noch heute ohne einen einheitlichen Verfassungstext aus. Polen hat bis 1997 mit der "kleinen Verfassung" leben können. Ungarn hat die Ausarbeitung einer endgültigen Verfassung noch vor sich. Warum sollte Europa weiter vorpreschen als es einige Nationalstaaten getan haben?

Es mehren sich die Stimmen derer, die eine Nichtratifizierung der Europäischen Verfassung für ein größeres Übel halten als den Verzicht auf die Ausübung des europäischen pouvoir constituant (Di Fabio, F.A.Z. 30.6.2000:6). Auch die Befürworter einer europäischen Verfassung verlangen keinen "verfassungspolitischen Urknall" mehr (Europa Kommission 2000:30). Selbst ein Europäisches Verfassungssystem müsste die Verfolgung nationaler Interessen "ohne Majorisierungsdruck" zulassen (Lepsius 2000:304) und die ist durch eine Zweiteilung der Verträge (Dehaene Gruppe) und durch die Tolerierung des "système inédit" rudimentärer Grundlagenverträge, die erst langfristig in Richtung einer einheitlichen Verfassung drängen, leichter zu erreichen.

In Zeiten der Prosperität wird vieles toleriert und mangels Transparenz von den Bürgern der Mitgliedstaaten ignoriert. Alle Integrationsschritte-vor allem aber im sozialen Bereich, wo die Kostenlawine zu Umverteilungsgelüsten gegenüber den finanziellen Lasten führen-sollten auch unter dem Aspekt des Schutzes gegen Rechtsextremismus und militanten Populismus gesehen werden. Das Haider-Syndrom ist kein Phänomen eines Kleinstaats. Selbst das Nichtmitglied Schweiz ist von dem Bazillus erfaßt worden und vom Glistrupismus bis zur AN und der Lega in Italien liegt politischer Sprengstoff in den nationalen Parteiensystemen, der zum Rückschlag für allzu rasche Integrationsschritte werden kann.


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