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2. Selbstbeschreibung und politische Funktion der Kommission

Die Erinnerung an die heroischen Zeiten der Kommission sind im Weißbuch präsent7. Sie werden jedoch von einem Anspruch auf kompetenziellen Zugewinn der Kommission begleitet, der seinerseits nicht sachlich oder funktional gerechtfertigt wird. Das zu Beginn der Prodi-Kommission deutlich gewordene Ziel, eine echte Regierung der EU zu werden, deutet sich in der an vielen Stellen angeregte Zurückdrängung des Rates und der Mitgliedstaaten zumindest an. Das Europäische Parlament ist der einzige institutionelle Akteur, der im Weißbuch positive Erwähnung findet und er ist auch der einzige, der einer solche Aufwertung der Kommission langfristig nicht im Wege stehen wird.

Tatsächlich spricht aus institutioneller Sicht manches dafür, die Kommission nicht nur als Exekutive (44 f.), sondern sogar als eine Art Gubernative der Gemeinschaft zu verstehen: Wie bei den Regierungen der Mitgliedstaaten bestehen die zentralen Aufgaben der Kommission in der Entwicklung von Gesetzesinitiativen, in der Rechtsaufsicht der administrativen Untergliederungen einschließlich der Mitgliedstaaten und im Erlaß von Rechtsnormen, die die Grundentscheidungen des ,,Gesetzgebers" der Gemeinschaft konkretisieren. All dies kann man - ohne dem Begriff eine falsche Emphase zu verleihen - als politische Aufgaben verstehen. Die Kommission hütet das Gemeinschaftsrecht, aber sie hat dabei große Gestaltungsspielräume. Sie hat definierte Ziele, aber eine breite Möglichkeit an Mitteln, und es ist ihr zuzugestehen, mit diesen Mitteln auch experimentell umzugehen.

Diese Funktionsbeschreibung versagt allerdings in Beziehung auf diejenige Außenseite des administrativen Systems, die man als politischen Prozeß bezeichnet. Adressaten des Kommissionshandelns sind in den allermeisten Fällen die Mitgliedstaaten, oder wie im Wettbewerbsrecht auch große Unternehmen, in jedem Fall Organisationen. Diese Beschränkung ihrer politischen Kommunikationsstruktur prägt das Politik- und Demokratiekonzept der Kommission in diesem Weißbuch deutlich: Anders als für die Regierungen der Mitgliedstaaten spielt für die Kommission die politische Kommunikation mit einer wahlberechtigten Öffentlichkeit keine institutionelle Rolle. Dies betrifft sowohl ihren Output wie auch ihren Input. Die Kommission wird durch Rechtsakte programmiert, die vornehmlich durch die Mitgliedstaaten formuliert werden und sie adressiert diese mit ihren eigenen Rechtsakten. Die im Weißbuch beiläufig aufgestellte Behauptung, die Kompetenzen der EU seien dieser ,,von den Bürgern übertragen worden sind" (10), ist dagegen weder juristisch noch demokratietheoretisch korrekt. Ganz im Gegenteil ist der fehlende Kontakt mit einer demokratischen politischen Umwelt, also einer Willensbildung, die sich letztlich auf die gleiche Freiheit der Beteiligten zurückführen läßt, eine entscheidende institutionelle Bedingung der Kommission, letztlich sogar der ganzen Union. Offensichtlich begibt sich die Kommission im vorliegenden Weißbuch auf die Suche nach einer politischen Öffentlichkeit. Was aber findet sie auf dieser Suche?


7 F. J. Scharpf, European Governance: Common Concerns vs. The Challenge of Diversity, MPIfG Working Paper 01/6, sub 5.

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