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II. Regieren durch Zivilgesellschaft?

Governance, ein Begriff, der nur schwerlich ins Deutsche zu übersetzten ist, kann in vielerlei Hinsicht gedeutet werden1. Einigkeit besteht aber dahingehend, dass die Zivilgesellschaft in irgendeiner Art und Weise verstärkt am "Regieren" beteiligt werden soll. So bemüht sich auch die Kommission, die Zivilgesellschaft verstärkt einzubeziehen (S. 19 ff). Hier fällt jedoch auf, dass trotz der Beteuerungen, die Erwartungen der "Bürger" bzw. "Europäer" zu erfüllen (S. 9) Europa besser mit den Bürgern zu verbinden (S. 3) und die Frage zu stellen, wie die EU die Kompetenzen nutzt, die ihr von den Bürgern übertragen worden sind (S. 10), die konkreten Vorschläge doch wieder dahingehen, organisierte Interessenvertreter einzubeziehen. So werden Kirchen und Religionsgemeinschaften, Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände explizit benannt (S. 19). Ansonsten wird - wohl auf Grund der Schwierigkeit, näher darzulegen, wie mit der gesamten Zivilgesellschaft regiert werden soll - auf eine Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses2 verwiesen. Hier droht die Gefahr, wieder nur die gebildeten, aktiven, bewussten einzubeziehen - eben die Elite. Diejenigen, die sich auch jetzt schon einbringen und organisieren, und über starke finanzielle und/oder konzeptuelle Ressourcen verfügen3. Damit wird eine Kritik aufgenommen, die dem governance-Konzept oftmals entgegengehalten wird: trotz der vordergründigen Dynamik der Theorie würde der Status quo zementiert, da versteckte Probleme nicht auf die Tagesordnung kämen - die Unterprivilegierten oder Ungebildeten blieben ungehört4. Deswegen, und auf Grund der Individualisierung und Ökonomisierung, die die Gesellschaft mehr und mehr durchformen, nennt Franz Walter das "kühne Versprechen der Bürgergesellschaft eine wunderschöne große Erzählung", an die im Zeitalter des zunehmenden Hedonismus zu große Erwartungen gestellt würden5.

Allerdings denkt die Kommission gar nicht an "governance without government6", um die durch Rosenau bekannt gewordene Formulierung aufzunehmen. Sie möchte die Akteure konsultieren, bis auf den engen Bereich der Koregulierung behält sie sich jedoch weiterhin exclusiv die Formulierung von Vorschlägen vor.


1 Zu den verschiedenen Arten, wie governance verstanden werden kann vgl. Philipp Steinberg, Governance-Modelle in der Politikwissenschaft und Möglichkeiten ihrer verfassungsrechtlichen Umsetzung, WHI-Paper 6/99, http://www.rewi.hu-berlin.de/WHI/deutsch/papers/whipapers699/index.htm. Vgl. auch für die Gegenüberstellung von politikwissenschaftlichen und von der Theorie der internationalen Beziehungen kommenden governance-Konzepten Barbara Holland-Cunz, Perspektiven der Verhandlungsdemokratie - Governance-Prozesse aus frauenpolitischer Sicht, in: Leggewie/Münch, Politik im 21. Jahrhundert, 2001, S. 281 (283 ff.)

2 Abl. C 329 vom 17. 11. 1999.

3 Beate Kohler-Koch, Organized Interests in European Integration; The Evolution of a New Type of Governance?" in H. Wallace et A. R. Young, Participation und Policy-.Making in the European Union, 1997, S. 42 ff. Hans Joas, Ungleichheit in der Bürgergesellschaft, Aus Politik und Zeitgeschichte Juni 2001, S. 15 ff. Vgl. aber auch James N. Rosenau, Changing Capacities of Citizenship, 1945 - 1995, in: Issues in Global Governancce, 1995, S. 1 ff. Differenzierend Skadi Krause/Herfried Münkler, Der aktive Bürger - Eine Gestalt der politischen Theorie im Wandel, in: Leggewie/Münch (oben FN 1), S. 299 ff.

4 Renate Mayntz, Politische Steuerung: Aufstieg, Niedergang und Transformation einer Theorie, in: Dies; Scharpf, Soziale Dynamik und politische Steuerung, 1995, S. 263 (272); ähnlich für die Theorie der Regime Susan Strange, Cave! hic dragones; a critique of regime analysis, in: Stephen Krasner, International Regimes, 1983, S. 337 (338).

5 Franz Walter, Die Bürgergesellschaft - eine süße Utopie, Berliner Republik4/2001, S. 44 (47).

6 So der Titel des Sammelbands von James N. Rosenau; Ernst-Otto Czempiel, Governance without government?, 1992.

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